1 Die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Jugendliche II (AMS) schrieb dem im Bezug von Arbeitslosengeld stehenden Revisionswerber am 24. März 2023 gemäß § 49 AlVG einen Kontrollmeldetermin für den 30. März 2023, 10.20 Uhr, vor. Unter einem erfolgte im Sinn von § 49 Abs. 2 AlVG eine Belehrung des Revisionswerbers über die Rechtsfolgen der Versäumung der Kontrollmeldung.
2 Mit Bescheid vom 9. Mai 2023 sprach das AMS aus, dass der Revisionswerber im Zeitraum 30. März 2023 bis 11. April 2023 gemäß § 49 AlVG kein Arbeitslosengeld erhalte. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das AMS mit Beschwerdevorentscheidung vom 30. Mai 2023 als unbegründet ab. Begründend führte das AMS aus, der Revisionswerber habe den Kontrollmeldetermin vom 30. März 2023 nicht eingehalten. Entgegen den Behauptungen des Revisionswerbers habe das AMS von diesem Kontrollmeldetermin auch nicht Abstand genommen.
3 Der Revisionswerber stellte einen Vorlageantrag und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Er brachte im Beschwerdeverfahren vor, er habe, wie dem AMS bekannt gewesen sei, während seiner Arbeitslosigkeit eine berufliche Ausbildung an einer Bildungsakademie zur Erlangung einer beruflichen Qualifikation (Sozialpädagogik) absolviert. Am 27. März 2023 habe er dem AMS zunächst telefonisch mitgeteilt, dass er für den Kontrollmeldetermin am 30. März 2023 verhindert sei, weil er an diesem Tag im Zuge seiner beruflichen Ausbildung eine Prüfung absolvieren müsse. Bei dem Telefonat sei ihm vom AMS mitgeteilt worden, dass er „seine Absage auch per E-Mail“ übermitteln solle bzw. seine Absage per E-Mail „gültig“ sei. Der Aufforderung, seine Verhinderung auch mit E-Mail zu melden, sei er am 27. März 2023 nachgekommen. Eine Mitteilung, dass der Kontrollmeldetermin doch aufrecht bliebe, habe er am 30. März 2023 nicht mehr rechtzeitig vor dem Kontrollmeldetermin erhalten.
4 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.
5 Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, der Revisionswerber habe am 27. März 2023 telefonisch bei der Serviceline des AMS mitgeteilt, dass er den Kontrollmeldetermin am 30. März 2023 aufgrund einer Prüfung nicht wahrnehmen könne. Er sei darauf ersucht worden, sein Anliegen schriftlich per E-Mail darzulegen. Es sei ihm gesagt worden, dass die Angelegenheit an den zuständigen Referenten weitergeleitet werde. Eine Abstandnahme vom Kontrollmeldetermin sei bei dem Gespräch nicht erfolgt.
6 Im darauf übermittelten E-Mail habe der Revisionswerber zum einen mitgeteilt, dass er eine (künftige) Arbeitsstelle gefunden habe. Hinsichtlich des Kontrollmeldetermins habe er ausgeführt, dass er den Termin am 30. März 2023, „wie erwähnt“, aufgrund einer Prüfung nicht wahrnehmen könne und um „Einverständnis und Bestätigung“ der Terminabsage ersuche.
7 Eine Bestätigung, dass der Termin abgesagt werde, habe der Revisionswerber vom AMS nicht erhalten. Vielmehr sei ihm mit E-Mail vom 30. März 2023 mitgeteilt worden, dass er persönlich vorsprechen müsse, falls er einen Termin versäume. Nach dem am 30. März 2023 versäumten Kontrollmeldetermin habe der Revisionswerber erstmals wieder am 12. April 2023 beim AMS persönlich vorgesprochen.
8 Im Zuge seiner Beweiswürdigung hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, entgegen den Behauptungen des Revisionswerbers sei ihm bei dem Telefonat vom 27. März 2023 nicht mitgeteilt worden, dass seine Absage des Kontrollmeldetermins im Fall der Übermittlung eines E-Mail akzeptiert werde. Gegen diese Behauptung spreche der Wortlaut des nachfolgenden E-Mails des Revisionswerbers vom 27. März 2023, mit der er um „Einverständnis und Bestätigung“ ersucht habe.
9 Rechtsfolge der Versäumung des wirksam vorgeschriebenen Kontrolltermins sei nach § 49 Abs. 2 AlVG der Verlust des Anspruchs auf Arbeitslosengeld. Abgesehen davon, dass das AMS vom vorgeschriebenen Kontrollmeldetermin nicht Abstand genommen habe, sei die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (Hinweis auf VwGH 19.9.2007, 2006/08/0272) zu beachten, wonach sich auch Personen, deren Verhinderung auf einen triftigen Grund im Sinn von § 49 Abs. 2 AlVG beruhe, spätestens nach Verstreichen der auf den versäumten Termin folgenden Woche aus eigenem bei der regionalen Geschäftsstelle zu melden hätten. Eine solche Meldung habe der Revisionswerber nicht vorgenommen. Er verliere daher vom Tag der versäumten Kontrollmeldung bis zur Geltendmachung des Fortbezugs den Anspruch auf Arbeitslosengeld.
10 Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe nach § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen werden können, weil der maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde und dem Vorlageantrag hinreichend geklärt sei. Das AMS habe bereits ein „ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren“ durchgeführt. Auch seien keine komplexen Rechtsfragen zu klären gewesen.
11 Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof - nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem das AMS eine Revisionsbeantwortung erstattet hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
12 Zur Zulässigkeit der Revision wird unter anderem geltend gemacht, der Revisionswerber habe ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Indem das Bundesverwaltungsgericht dem nicht gefolgt sei, habe es gegen (näher genannte) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs verstoßen. Ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe das Bundesverwaltungsgericht nicht davon ausgehen dürfen, dass das Vorbringen des Revisionswerbers nicht glaubwürdig wäre, wonach ihm am 27. März 2023 vom AMS mitgeteilt worden sei, dass seine Absage des Kontrolltermins akzeptiert werde.
13 Die Revision erweist sich als zulässig und berechtigt.
14 Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.
15 Bei Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung handelt es sich um „civil rights“ im Sinn des Art. 6 EMRK. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs gehört es im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts, dem auch in § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen und sich als Gericht im Rahmen einer - bei der Geltendmachung von „civil rights“ in der Regel auch von Amts wegen durchzuführenden - mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl. etwa VwGH 5.2.2024, Ra 2023/08/0081, mwN). Ist eine Verhandlung nach Art. 6 EMRK geboten, dann ist eine Prüfung der Relevanz des Verfahrensmangels der Unterlassung einer solchen Verhandlung - ob dieser also insbesondere Einfluss auf die Feststellung des Sachverhaltes bzw. die Beweiswürdigung haben hätte können - nicht durchzuführen (vgl. VwGH 12.10.2022, Ra 2020/08/0109 und 0110, mwN).
16 Die Revision zeigt zutreffend auf, dass im vorliegenden Fall widersprechende prozessrelevante Behauptungen im Sinn dieser Rechtsprechung vorlagen:
17 Gemäß § 49 Abs. 1 AlVG hat sich der Arbeitslose zur Sicherung des Anspruchs auf den Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe wöchentlich mindestens einmal bei der nach seinem Wohnort zuständigen regionalen Geschäftsstelle persönlich zu melden. Je nach der Situation auf dem Arbeitsmarkt kann die regionale Geschäftsstelle die Einhaltung von Kontrollmeldungen gänzlich nachsehen, die Zahl der einzuhaltenden Kontrollmeldungen herabsetzen oder öftere Kontrollmeldungen vorschreiben.
18 Nach § 49 Abs. 2 AlVG verliert ein Arbeitsloser, der trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine Kontrollmeldung unterlässt, ohne sich mit triftigen Gründen zu entschuldigen, vom Tage der versäumten Kontrollmeldung an bis zur Geltendmachung des Fortbezugs den Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe.
19 Nach dem Vorbringen des Revisionswerbers wurde ihm gegenüber von Mitarbeitern des AMS bei dem am 27. März 2023 geführten Telefongespräch zum Ausdruck gebracht, dass er aufgrund des von ihm angegebenen Verhinderungsgrundes - der Absolvierung einer Prüfung in seiner Ausbildung - nicht zum vorgesehenen Kontrollmeldetermin am 30. März 2023 erscheinen müsse, soweit er dies auch noch mit E-Mail bekannt gebe. Diesem Vorbringen kann nicht von vornherein die Prozessrelevanz abgesprochen werden. Die beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts, wonach den Angaben des Revisionswerbers nicht zu folgen sei, hätten daher im Sinn der dargestellten Grundsätze die Durchführung einer Verhandlung erfordert.
20 Aber auch unter der Annahme, dass das Vorbringen des Revisionswerbers nicht zugetroffen hätte, hätte das Bundesverwaltungsgericht nicht ohne Weiteres davon ausgehen dürfen, dass ein Verlust des Arbeitslosengelds nach § 49 Abs. 2 AlVG eintritt. Insofern wäre nämlich im Beschwerdeverfahren auch eine Auseinandersetzung damit erforderlich gewesen, ob der Revisionswerber sich im Sinn von § 49 Abs. 2 AlVG aus einem triftigen Grund für den Kontrollmeldetermin entschuldigt hat (vgl. VwGH 19.9.2007, 2006/08/0272).
21 Der Verwaltungsgerichtshof hat dazu festgehalten, dass dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht der Gesetzeszweck zugrunde liegt, dem arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keinerlei Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung in eine ihm zumutbare Beschäftigung einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Ausgehend davon hat es der Verwaltungsgerichtshof etwa als nicht zweifelhaft beurteilt, dass ein Vorstellungstermin zum Zwecke der Erlangung eines Arbeitsplatzes bei einem Unternehmen einen triftigen Grund im Sinne des § 49 Abs. 2 AlVG bildet (vgl. VwGH 2.7.2008, 2007/08/0247, mwN). In diesem Sinn kann auch der Absolvierung einer notwendigen Prüfung in einer (die Arbeitslosigkeit bzw. die Verfügbarkeit nicht ausschließenden) Ausbildung, die der Erlangung einer beruflichen Qualifikation und damit der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt dient, grundsätzlich die Eignung, einen Entschuldigungsgrund für einen Kontrollmeldetermin im Sinn von § 49 Abs. 2 AlVG darzustellen, nicht von vornherein abgesprochen werden. Insoweit fehlen im angefochtenen Erkenntnis jedoch Feststellungen zur Ausbildung des Revisionswerbers bzw. zu der von ihm behaupteten Prüfung am 27. März 2023.
22 Grundsätzlich zutreffend hat das Bundesverwaltungsgericht im Weiteren auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs hingewiesen, wonach ein Arbeitsloser, dessen Unterlassung einer Kontrollmeldung aus triftigem Grund entschuldigt ist, auch nicht einfach zuwarten darf, ohne sich bei der regionalen Geschäftsstelle zu melden. Er ist vielmehr gemäß § 49 Abs. 1 AlVG von Gesetzes wegen zur wöchentlichen Meldung verpflichtet, es sei denn, die regionale Geschäftsstelle hat einen von dieser gesetzlichen Grundverpflichtung abweichenden Kontrolltermin festgesetzt. Ohne die Vorschreibung eines konkreten Kontrollmeldetermins besteht daher eine Verpflichtung, sich spätestens mit Ablauf der Kalenderwoche, die auf den versäumten Kontrolltermin folgt, gemäß § 49 Abs. 1 erster Satz AlVG persönlich erneut zu melden (vgl. VwGH 17.2.2020, Ra 2019/08/0175; sowie nochmals 19.9.2007, 2006/08/0272).
23 Es trifft daher zu, dass der Revisionswerber, auch wenn ein triftiger Grund im Sinn des § 49 Abs. 2 AlVG für das Unterbleiben der Kontrollmeldung am 30. März 2023 vorgelegen sein sollte, verpflichtet gewesen wäre - soweit ihm kein anderer Termin vorgeschrieben wurde - spätestens am letzten Tag der folgenden Kalenderwoche eine Meldung nach § 49 Abs. 1 erster Satz AlVG vorzunehmen, widrigenfalls ab dem Tag der insoweit versäumten Kontrollmeldung ein Anspruchsverlust eintritt.
24 Da der Anspruchsverlust nach § 49 Abs. 2 AlVG aber erst mit der Versäumung dieser Verpflichtung eintreten kann, kann - entgegen der offensichtlich vom Bundesverwaltungsgericht vertretenen Ansicht - der gegenständlich ausgesprochene Anspruchsverlust ab 30. März 2023 nicht auf eine solche Pflichtverletzung gegründet werden.
25 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen (vorrangig wahrzunehmender) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
26 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 23. Juli 2024