Gericht

Verwaltungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

19.03.2024

Geschäftszahl

Ra 2022/07/0075

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Dr. Bachler und Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Bamer, über die Revision der Stadtgemeinde G in G, vertreten durch die Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Mölker Bastei 5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 8. November 2021, Zl. LVwG-AV-1194/001-2021, betreffend wasserrechtliche Bewilligungen und Zwangsrechtseinräumung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Korneuburg; mitbeteiligte Partei: K GmbH in G, vertreten durch die ONZ & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1             Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg (in der Folge: belangte Behörde) vom 14. Juni 2021 wurde der mitbeteiligten Partei ua. - neben einer näher bestimmten Genehmigung einer obertägigen Gewinnung grundeigener mineralischer Rohstoffe nach dem Mineralrohstoffgesetz (MinroG) und einer näher beschriebenen Bewilligung zur Herstellung und zum Betrieb von Bergbauanlagen nach dem MinroG (Spruchpunkt I. und II.) - eine wasserrechtliche Bewilligung für die Gewinnung und Aufbereitung von Sand und Kies (Spruchpunkt IV.1.1.), die Errichtung eines Brunnens für die Nutzwasserversorgung (Spruchpunkt IV.1.2.), die Errichtung einer Nutzwasserentnahmeanlage aus dem M.-Kanal inklusive Leitungen (Spruchpunkt IV.2.3.) einschließlich der zwangsweisen Einräumung eines Servituts gemäß § 63 lit. b WRG 1959 für die Unterquerung der Verkehrswege näher genannter Grundstücke im Grundeigentum der revisionswerbenden Partei für die Rohrleitung und den Transport des aus der Nutzwasserentnahmeanlage entnommenen Wassers (Spruchpunkt IV.2.4.) erteilt.

2             Gegen diesen Bescheid brachte die revisionswerbende Partei Beschwerde ein. Darin wurde Vorbringen dazu erstattet, warum das gegenständliche Vorhaben - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - der UVP-Pflicht unterliege. Im Detail führte die revisionswerbende Partei aus, dass sich schon aus einem näher bezeichneten zurückgezogenen Genehmigungsantrag, der sich auf eine Abbaufläche von 9,07 ha bezogen habe, ergebe, dass stets größere Abbauflächen geplant gewesen seien. Die mitbeteiligte Partei habe von sich aus ein UVP-Feststellungsverfahren im Wege der Einzelfallprüfung angestrebt. Eine mit näher angeführtem Bescheid genehmigte Materialgewinnung im Ausmaß von ca. 73 ha sei in die Kumulationsprüfung nach § 3 Abs. 2 Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 (UVP-G 2000) miteinzubeziehen. Zu berücksichtigen sei des Weiteren, dass die sogenannte „Eignungszone 2“ für die Gewinnung von Sand und Kies, in der das gegenständliche Projektgrundstück liege, etwa 90 ha umfasse und sei auch dieses Gebiet einzubeziehen. Darüber hinaus beabsichtige die mitbeteiligte Partei den Erwerb von zusätzlichen Grundstücken für die Zwecke des Bergbaus. Auffällig sei überdies, dass das Flächenausmaß des antragsgegenständlichen Grundstückes 50.161 m² betrage und von der ursprünglichen Antragstellung diese gesamte Fläche umfasst gewesen sei und nicht - wie beim derzeitigen Antrag - bloß 49.013 m² des Grundstückes. Diese Vorgänge zeigten, dass die mitbeteiligte Partei in Wahrheit ihr Vorhaben unsachlich stückele, um ein Verfahren nach dem UVP-G 2000 zu vermeiden. Ebenso seien die Flächen für die Errichtung der Pumpstation und der Zuleitung auch zur Projektfläche zu zählen. Schließlich beantragte die revisionswerbende Partei in dieser Beschwerde die Durchführung einer Verhandlung.

3             Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (in der Folge: Verwaltungsgericht) wies diese Beschwerde - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit Erkenntnis vom 8. November 2021, soweit sich die Einwendungen im Verfahren gegen Spruchpunkt IV.1. Punkt 1. und 2. sowie IV.2. Punkt 3. des Bescheides der belangten Behörde vom 14. Juni 2021 richteten, als unbegründet ab (Spruchpunkt 1.). Die Beschwerde gegen Spruchpunkt IV.2.4. hinsichtlich der zwangsweisen Servitutseinräumung auf näher bezeichneten Grundstücken wurde ebenso als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt 2.). Mit Spruchpunkt 3. wurde die Bauvollendungsfrist neu festgelegt und mit Spruchpunkt 4. eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

4             Von der Durchführung einer Verhandlung habe nach der Begründung des Verwaltungsgerichtes trotz des gestellten Antrages abgesehen werden können, weil der entscheidungswesentliche Sachverhalt geklärt und daher eine Verhandlung nicht erforderlich sei. Eine mündliche Erörterung etwa der Rechtsfrage der Zuständigkeit der belangten Behörde anhand der Beurteilung einer UVP-Pflicht oder des Vorliegens der Zwangsrechtsvoraussetzungen lasse keine weitere Klärung der Rechtssache erwarten. Es werde auch nicht von der Beweiswürdigung der belangten Behörde abgewichen. Dem Entfall der Verhandlung stehe weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegen. Im Hinblick auf Wasserbenutzungs- und Fischereirechte sei lediglich die Rechtsfrage zu lösen gewesen, ob die erhobenen Einwendungen geeignet gewesen seien, eine Parteistellung im wasserrechtlichen Verfahren zu begründen, was sich anhand der Verwaltungsakten beantworten habe lassen.

5             Die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das Verwaltungsgericht mit den verba legalia des Art. 133 Abs. 4 B-VG.

6             In der dagegen erhobenen außerordentlichen Revision werden Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes, Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

7             Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof erstatteten die mitbeteiligte Partei und die belangte Behörde je eine Revisionsbeantwortung, in der jeweils die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß Paragraph 12, Absatz eins, Ziffer 2, VwGG gebildeten Senat - erwogen:

8             Die revisionswerbende Partei brachte zur Zulässigkeit der Revision ua. vor, das Verwaltungsgericht sei von näher angeführter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es keine mündliche Verhandlung durchgeführt habe, fallgegenständlich aber Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC dem Entfall einer solchen entgegenstünden.

9             Die Revision ist jedenfalls aus diesem Grund zulässig und auch begründet.

10           Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht nur dann ungeachtet eines Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und dem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.

11           Nach der ständigen hg. Rechtsprechung ist eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht daher durchzuführen, wenn es um „civil rights“ oder „strafrechtliche Anklagen“ im Sinn des Art. 6 EMRK oder um die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte (Art. 47 GRC) geht und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird. Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 GRC stehen dem Absehen von einer Verhandlung von Seiten des Verwaltungsgerichtes (§ 24 Abs. 4 VwGVG) nur dann nicht entgegen, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt feststeht und auch keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten können, sodass eine Verhandlung nicht notwendig ist. Des Weiteren hat der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf § 24 Abs. 4 VwGVG bereits wiederholt festgehalten, dass der Gesetzgeber als Zweck einer mündlichen Verhandlung die Klärung des Sachverhalts und die Einräumung von Parteiengehör sowie darüber hinaus auch die mündliche Erörterung einer nach der Aktenlage strittigen Rechtsfrage zwischen den Parteien und dem Gericht vor Augen hatte (vgl. VwGH 21.8.2023, Ra 2023/07/0039, mwN).

12           Wenn der Sachverhalt vor dem Verwaltungsgericht konkret - und nicht nur allgemein inhaltsleer - bestritten wird, kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Verwaltungsgericht ausschließlich rechtliche Fragen zu behandeln hat (vgl. VwGH 6.7.2023, Ra 2022/07/0081 bis 0087, mwN).

13           In der Begründung des Erkenntnisses hält das Verwaltungsgericht selbst ausdrücklich fest, dass die revisionswerbende Partei das Ausmaß der projektgegenständlichen Fläche in ihrer Beschwerde bestritten habe, und sah es sich dadurch veranlasst, sich mit diesem Vorbringen beweiswürdigend auseinanderzusetzen. Daher hätte sich das Verwaltungsgericht nicht auf den Standpunkt zurückziehen dürfen, dass der Sachverhalt geklärt gewesen sei. Denn dagegen, dass es sich bloß um ein unsubstantiierten Bestreiten, welches außer Betracht bleiben hätte können (vgl. dazu etwa VwGH 21.8.2023, Ra 2022/07/0166, mwN), gehandelt hätte, sprechen bereits die beweiswürdigenden Erwägungen des Verwaltungsgerichtes, die es offenkundig für notwendig erachtet hat.

14           Bei konkretem sachverhaltsbezogenen Vorbringen - wie hier - ist jedenfalls eine mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. erneut VwGH 21.8.2023, Ra 2023/07/0039, mwN).

15           Diesem Vorbringen zum Ausmaß der zu berücksichtigenden Fläche liegt auch der Vorwurf der revisionswerbenden Partei, die mitbeteiligte Partei habe die Projektfläche unsachlich aufgesplittet, um einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu entgehen, zugrunde (vgl. dazu VwGH 29.3.2006, 2004/04/0129, mwN).

16           Im Bescheid ging die belangte Behörde alleine davon aus, dass der Schwellenwert von 25 % von 20 ha, nämlich 5 ha, nicht überschritten worden sei. Die Frage, ob die mitbeteiligte Partei in der Absicht gehandelt hat, dass sie das Projekt in sachlich nicht gerechtfertigter Weise aufgeteilt hat, um so eine Einzelfallprüfung nach dem UVP-G 2000 zu umgehen, wurde im Bescheid nicht thematisiert.

17           Auch vom Verwaltungsgericht wurde dieses Sachverhaltsvorbringen übergangen und - als Folge der beweiswürdigenden Überlegungen zum beantragten Flächenausmaß - lediglich festgestellt, dass die Schwelle von 5 ha unterschritten worden sei.

18           Das Verwaltungsgericht hätte sich aber mit diesem Vorwurf nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung beweiswürdigend auseinandersetzen müssen. Schon aus diesem Grund wurde die Verhandlungspflicht des Verwaltungsgerichts verletzt.

19           Im gegenständlichen Verfahren ist auch das in Umsetzung der Richtlinie 2011/92/EU eingeführte UVP-G 2000 in den Blick zu nehmen, welches Angelegenheiten der „Durchführung des Rechts der Union“ im Sinne des Art. 51 Abs. 1 GRC (vgl. zur Bindung an die GRC bei der Auslegung von in nationales Recht umgesetzte Richtlinien etwa EuGH 29.1.2008, Promusicae, C-275/06, Rn. 68) betrifft, sodass schon deshalb die in Art. 47 GRC festgelegten Garantien, die inhaltlich jenen des Art. 6 EMRK entsprechen, zum Tragen kommen (vgl. in diesem Sinne zum UIG VwGH 21.8.2023, Ra 2022/07/0196, mwN).

20           Eine Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und des Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. VwGH 20.2.2023, Ra 2021/07/0062, mwN).

21           Die Einräumung eines Zwangsrechtes nach § 63 lit. b WRG 1959 setzt ein Projekt voraus, dessen Umsetzung es dient; ohne eine vorangegangene, die davon betroffenen Grundstücke oder Grundstücksteile zweifelsfrei bezeichnende wasserrechtliche Bewilligung eines Projektes dürfen dafür erforderliche Zwangsrechte nicht begründet werden (vgl. VwGH 18.2.2021, Ra 2018/07/0347, mwN).

22           Aus dieser Rechtsprechung kann sich nur ergeben, dass die Aufhebung des Spruchpunktes 1. des hier angefochtenen Erkenntnisses aufgrund der obigen Erwägungen auch die Aufhebung des Spruchpunktes 2. betreffend die Zwangsrechtseinräumung zur Folge haben muss.

23           Gleiches gilt für den Spruchpunkt 3. hinsichtlich der Bauvollendungsfrist, denn der Ausspruch über die Bauvollendungsfrist stellt wegen des engen sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges mit dem Hauptinhalt des Spruches eine notwendige, nicht trennbare Einheit mit diesem dar (vgl. VwGH 25.4.2019, Ra 2018/07/0464, mwN).

24           Darüber hinaus hat die revisionswerbende Partei in der Beschwerde die von der belangten Behörde im Zusammenhang mit der Zwangsrechtseinräumung vorgenommene rechtliche Einordnung der Rohrleitung als „Wasserbauvorhaben“ bestritten, weil die Rohrleitung nicht vom Projektwerber verwirklicht worden sei.

25           Wie schon in der oben dargestellten Judikatur angeführt (siehe Rn. 11), wäre auch aufgrund der sich in diesem Zusammenhang stellenden Rechtsfrage eine Verhandlung geboten gewesen.

26           Das angefochtene Erkenntnis war somit zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG bereits wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, was ein Eingehen auf das restliche Revisionsvorbringen erübrigt.

27           Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 19. März 2024

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VWGH:2024:RA2022070075.L00