Verfassungsgerichtshof
20.09.2022
G102/2022
Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung des COVID-19-ImpfpflichtG mangels unmittelbaren Eingriffs in die Rechtssphäre; Unzulässigkeit des Antrags mangels Legitimation; keine Verpflichtung zur Impfung sowohl im Antragszeitpunkt als auch im Entscheidungszeitpunkt auf Grund der COVID-19-Nichtanwendungsverordnung
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
römisch eins. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B-VG gestützten Antrag begehren die Antragsteller "das Bundesgesetz über die Pflicht zu Impfung gegen COVID-19 (COVID-19-Impfpflichtgesetz[] – COVID-19-IG) kundgemacht in BGBl römisch eins 2022/4 seinem ganzen Inhalte nach" als verfassungswidrig aufzuheben.
Da auf den dargestellten Sachverhalt nach Auffassung der Antragsteller Unionsrecht anzuwenden sei, ergehe zudem die Anregung
"der Verfassungsgerichtshof möge gemäß Art267 AEUV und §19a VfGG einen Antrag auf Vorabentscheidung der Frage
1. Sind Arts. 3.6-3.7 der EU Covid-Zertifikat Verordnung 2021/953 im Zusammenhang mit Arts. 3.2 (freie Einwilligung des Betroffenen im Rahmen der Medizin), 7 (Schutz der physischen und psychischen Integrität der Einzelnen/des Einzelnen), 10 (Religionsfreiheit), 21 (Nichtdiskriminierung) und 45 (Freizuegigkeitsrecht) des EU Charters zu interpretieren so dass nationale Rechtsvorschriften EU-rechtswidrig seien welche legal niedergelassene ungeimpfte EU-Buerger diskriminieren in dem solche EU-Buerger (i) Geldstrafen ausgesetzt sind (bis zu EUR 3,600) oder (ii) zur Covid-19 Impfpflicht ausgesetzt sind ohne zugleich frei über ihren Körper und medizinische Angelegenheiten entscheiden zu können? […]
2. Ist Art20.2(a) AEUV im Zusammenhang mit Arts. 3.2 (freie Einwilligung des Betroffenen im Rahmen der Medizin), 7 (Schutz der physischen und psychischen Integrität der Einzelnen/des Einzelnen), 10 (Religionsfreiheit), 21 (Nichtdiskriminierung) und 45 (Freizuegigkeitsrecht) des EU Charters zu interpretieren so dass nationale Rechtsvorschriften EU-rechtswidrig seien welche legal niedergelassene ungeimpfte EU-Buerger diskriminieren in dem solche EU-Buerger (i) Geldstrafen ausgesetzt sind (bis zu EUR 3.600) oder (ii) zur Covid-19 Impfpflicht ausgesetzt sind ohne zugleich frei über ihren Körper und medizinische Angelegenheiten entscheiden zu können? […]
an den Gerichtshof (EuGH) stellen."
römisch II. Rechtslage
1. Das Bundesgesetz über die Pflicht zur Impfung gegen COVID-19 (COVID-19-Impfpflichtgesetz – COVID-19-IG), Bundesgesetzblatt Teil eins, 4 aus 2022,, wurde am 4. Februar 2022 kundgemacht und trat am 5. Februar 2022 in Kraft.
2. Am 12. März 2022 trat die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend die vorübergehende Nichtanwendung des COVID-19-Impfpflichtgesetzes und der COVID-19-Impfpflichtverordnung in Kraft und lautete wörtlich:
"Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend die vorübergehende Nichtanwendung des COVID-19-Impfpflichtgesetzes und der COVID-19-Impfpflichtverordnung
Auf Grund des §19 Abs2 des COVID-19-Impfpflichtgesetzes (COVID-19-IG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr 4 aus 2022,, wird im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrats verordnet:
§1. Die §§1, 4, 10 und 11 des COVID-19-Impfpflichtgesetzes (COVID-19-IG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr 4 aus 2022,, in der jeweils geltenden Fassung, sind nicht auf Sachverhalte anzuwenden, die sich nach Inkrafttreten dieser Verordnung ereignen.
§2. Die §§1 und 4 der COVID-19-Impfpflichtverordnung (COVID-19-IV), Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr 52 aus 2022,, sind nicht auf Sachverhalte anzuwenden, die sich nach Inkrafttreten dieser Verordnung ereignen.
§3. Diese Verordnung tritt mit 12. März 2022 in Kraft und tritt mit Ablauf des 31. Mai 2022 außer Kraft."
3. Mit Bundesgesetzblatt Teil eins, 131 aus 2022, wurde das Bundesgesetz, mit dem das COVID-19-Impfpflichtgesetz, die COVID-19-Impfpflichtverordnung und die Verordnung betreffend die vorübergehende Nichtanwendung des COVID-19-Impfpflichtgesetzes und der COVID-19-Impfpflichtverordnung aufgehoben werden und das Epidemiegesetz 1950 geändert wird, erlassen. Dieses lautet auszugsweise wörtlich wie folgt:
"Artikel 1
Aufhebung des COVID-19-Impfpflichtgesetzes
Das Bundesgesetz über die Pflicht zur Impfung gegen COVID-19 (COVID-19-Impfpflichtgesetz – COVID-19-IG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr 4 aus 2022,, in der Fassung des Bundesgesetzes Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr 22 aus 2022,, wird aufgehoben.
Artikel 2
Aufhebung der COVID-19-Impfpflichtverordnung
Die Verordnung über die Pflicht zur Impfung gegen COVID-19 (COVID-19-Impfpflichtverordnung – COVID-19-IV), Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr 52 aus 2022,, wird aufgehoben.
Artikel 3
Aufhebung der Verordnung betreffend die vorübergehende Nichtanwendung des COVID-19-Impfpflichtgesetzes und der COVID-19-Impfpflichtverordnung
Die Verordnung betreffend die vorübergehende Nichtanwendung des COVID-19-Impfpflichtgesetzes und der COVID-19-Impfpflichtverordnung, Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr 103 aus 2022,, in der Fassung der Verordnung Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr 198 aus 2022,, wird aufgehoben.
[…]"
römisch III. Antragsvorbringen
1. Die Antragsteller begründen die Zulässigkeit ihres Antrags in aller Kürze damit, alle nicht geimpft zu sein und auch keine Impfung anzustreben. Der Sache nach bringen sie vor, das Impfpflichtgesetz verstoße "gegen fundamentale internationale und österreichische Rechtsvorschriften
a) Das Impfpflichtgesetz verstoßt gegen Arts. 8 und 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention ("EMRK"), Art2 des Vierten Protokolls der EMRK, und Art1 des Zwölften Protokolls der EMRK.
b) Das Impfpflichtgesetz verstoßt gegen Arts. 1, 3, 7, 10, 21, 45 und 54 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ('EU Charter'), sowie gegen die daraus fließenden EU und österreichischen Rechtsnormen.
c) Das Impfpflichtgesetz verstoßt gegen das österreichische Bundesverfassungsgesetz ('BVG')".
In Folge begründen die Antragsteller die aufgestellten Bedenken näher.
römisch IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Antrages
1.1. Der Antrag ist unzulässig.
Gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie – im Fall seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art140 Abs1 Z1 litc B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert vergleiche zB VfSlg 11.730/1988, 15.863/2000, 16.088/2001, 16.120/2001).
Der Verfassungsgerichtshof geht grundsätzlich davon aus, dass die bekämpften Gesetzesbestimmungen auch im Zeitpunkt seiner Entscheidung für den Antragsteller noch entsprechend wirksam sein müssen vergleiche VfSlg 12.999/1992, 16.621/2002, 16.799/2003, 17.826/2006, 18.151/2007, 20.397/2020), was in der Regel dann nicht mehr der Fall ist, wenn die bekämpften Bestimmungen bereits außer Kraft getreten oder wesentlich geändert worden sind. Es ist aber nicht von vornherein ausgeschlossen, dass auch bereits außer Kraft getretene Regelungen die Rechtssphäre des Antragstellers aktuell berühren vergleiche etwa VfSlg 20.397/2020, 20.399/2020, jüngst VfGH 23.6.2022, G37/2022 ua).
2. Entgegen der Ansicht der antragstellenden Parteien entfaltet das COVID-19-IG keinen unmittelbaren Eingriff in ihre Rechtssphäre:
2.1. Die antragstellenden Parteien übersehen nämlich, dass die Verpflichtung zur Impfung, die insbesondere in §1 und §4 COVID-19-IG normiert ist vergleiche VfGH 29.4.2022, G29/2022), auf Grund der COVID-19-Nichtanwendungsverordnung, Bundesgesetzblatt Teil 2, 103 aus 2022,, bereits im Zeitpunkt der Antragstellung am 14. März 2022 nicht mehr auf die antragstellenden Parteien anwendbar war. Es ist sohin schon zum Zeitpunkt der Antragstellung ein Rechtsschutzinteresse der antragstellenden Parteien zu verneinen vergleiche VfGH 17.6.2022, G113/2022).
2.2. Da das COVID-19-Impfpflichtgesetz, die COVID-19-Impfpflichtverordnung und auch die COVID-19-Nichtanwendungsverordnung, Bundesgesetzblatt Teil 2, 103 aus 2022,, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil 2, 198 aus 2022, überdies auch im Entscheidungszeitpunkt des Verfassungsgerichtshofes durch Bundesgesetzblatt Teil eins, 131 aus 2022, bereits aufgehoben waren, kann auch zu diesem Zeitpunkt kein Rechtsschutzinteresse bejaht werden vergleiche VfGH 17.6.2022, G113/2022).
3. Schon aus diesem Grund ist der auf Aufhebung des gesamten COVID-19-IG gerichtete Antrag als unzulässig zurückzuweisen.
römisch fünf. Ergebnis
1. Der Antrag ist daher schon deshalb als unzulässig zurückzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
ECLI:AT:VFGH:2022:G102.2022