Gericht

OGH

Entscheidungsdatum

14.12.1979

Geschäftszahl

1Ob36/79

Norm

ABGB §6;

ABGB §7;

ABGB §1489;

Amtshaftungsgesetz §1 Abs1;

Amtshaftungsgesetz §6;

Kreditwesengesetz 1979;

Kopf

SZ 52/186

Spruch

Das Amtshaftungsgesetz ist als abschließende Regelung des Rechtsgebietes der Haftung von Rechtsträgern für ihre Organe anzusehen und hob damit seinem Inhalt entgegenstehende ältere und nicht ausdrücklich aufrechterhaltene gesetzliche Bestimmungen auf

Für die Unterlassung einer gesetzlichen Pflicht haftet der Rechtsträger nach dem Amtshaftungsgesetz demjenigen, dessen Schutz die verletzte Norm bezweckt

Die Aufsicht des Bundes über die Kreditinstitute dient auch dem Schutze ihrer Gläubiger; ihre Verletzung kann damit Amtshaftungsansprüche begrunden

Die Verjährung eines Amtshaftungsanspruches beginnt erst zu laufen, wenn dem Geschädigten der Schadenseintritt und das Verschulden irgendeines Organs des Rechtsträgers hinreichend bekannt geworden ist

OGH 14. Dezember 1979, 1 Ob 36/79 (OLG Wien 14 R 77/79; LGZ Wien 40 a Cg 521/78)

Text

Der Kläger macht aus dem Verlust von Spareinlagen bei der A-Bank einen Amtshaftungsanspruch mit der Begründung geltend, das Bundesministerium für Finanzen habe seine Aufsichtspflicht nach dem Kreditwesengesetz verletzt. Die Beklagte - die Republik Österreich - bestritt dies und wendete Verjährung ein. Hiezu steht außer Streit, daß über das Vermögen der A-Bank am 25. November 1974 der Ausgleich und am 21. März 1975 der Anschlußkonkurs eröffnet wurde sowie daß der Kläger am 17. Mai 1978 das Aufforderungsschreiben nach Paragraph 8, AHG an die Finanzprokuratur gerichtet hat. Aktenkundig ist weiters, daß der Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe bereits am 23. Dezember 1977 gestellt wurde.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ohne Aufnahme von Beweisen ab. Es vertrat die Rechtsansicht, daß die Verjährungsfrist spätestens mit der Konkurseröffnung begonnen habe und der Klagsanspruch demnach verjährt sei, daß aber überdies ein Ersatzanspruch nach dem AHG aus einer Unterlassung nur abgeleitet werden könne, wenn der Geschädigte gegenüber dem Staat ein subjektives Recht auf positives Handeln gehabt habe, was hier nicht der Fall sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es trat der zuletzt dargestellten Rechtsansicht des Erstgerichtes bei, ohne auf die Verjährungsfrage einzugehen.

Über die Revision des Klägers hob der Oberste Gerichtshof die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur weiteren Verhandlung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Revisionswerber verweist auf die inzwischen in NJW 1979, 1354, veröffentlichte Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 15. Feber 1979, mit der in einem ähnlich gelagerten Fall die grundsätzliche Haftung der dort beklagten Bundesrepublik Deutschland aus Paragraph 839, BGB in Verbindung mit Artikel 34, GG für die Verletzung der Aufsichtspflicht über Kreditinstitute nach Maßgabe des dortigen Gesetzes über das Kreditwesen 1961 mit der Begründung bejaht wurde, daß dieses Gesetz auch die Gläubiger der beaufsichtigten Kreditinstitute nach Möglichkeit vor Verlusten schützen wolle. Die Revisionsgegnerin verweist demgegenüber darauf, daß die Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland durch das genannte neue Kreditwesengesetz, insbesondere in der Fassung des zweiten Änderungsgesetzes vom Jahre 1975, eine andere als die österreichische sei. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes, mit der übrigens entgegen der bis dahin herrschenden deutschen Lehre von einer Vorentscheidung (BGHZ 58/96) abgegangen wurde, ist in der Tat schon aus diesem Gründe, aber auch wegen der unterschiedlichen Regelung der Amtshaftung, nur am Rand von Bedeutung. Der OGH gelangt jedoch schon auf Grund seiner eigenen bisherigen Rechtsprechung zum gleichen Ergebnis:

Allerdings besteht grundsätzlich kein subjektives Recht auf gesetzmäßige Führung der Verwaltung (VwGHSlg. 808/A u. a.). Aber die Haftpflicht der Rechtsträger nach dem AHG bestimmt sich infolge des in Paragraph eins, Absatz eins, anders als nach Paragraph 839, BGB weit umschriebenen Kreises der Schadenersatzberechtigten "wem immer") grundsätzlich bloß danach, wessen Schutz die verletzte Rechtsnorm bezweckt; das Fehlverhalten gegenüber diesen durch den Rechtssatz geschützten Interessen ist rechtswidrig (SZ 28/127; EvBl. 1976/233 u. a.; vergleiche auch Ehrenzweig II/1, 47, und Loebenstein - Kaniak, AHG, 53 f.). Der scheinbar gegenteiligen (von Kaniak, JBl. 1949, 141, 146 zitierten; vergleiche auch Loebenstein - Kaniak a. a. O.) Bemerkung im Bericht des Ausschusses für Verwaltungsreform über den Entwurf des AHG, 515 BlgNR, römisch fünf. GP (JABl. 1949, 13), wonach grundsätzlich keine Pflicht der Verwaltungsbehörde gegenüber einer Partei, in einer bestimmten, Richtung tätig zu werden, besteht, es sei denn, daß es sich um eine Entscheidungspflicht handle, kommt nicht die entscheidende Bedeutung zu. Vielmehr hat der gleiche Ausschuß den Entwurf des Bundesverfassungsgesetzes, womit die Vorschriften des Bundes-Verfassungsgesetzes über die Schadenshaftung der Gebietskörperschaften abgeändert werden Bundesgesetzblatt 19 aus 1949,), mit dem ausdrücklichen Hinweis versehen, daß die Rechtsträger entgegen der früheren Verfassungsrechtslage nicht nur dann haften sollen, wenn sie ein subjektives öffentliches Recht der Partei verletzt haben (514 BlgNR, römisch fünf. GP; JABl. 1949, 12; ebenso Loebenstein - Kaniak, 55). Welser hat demnach in JBl. 1975, 225, 232 ff., mit Recht die Annahme, daß ein Ersatzanspruch nach dem AHG außer der Rechtswidrigkeit auch die Verletzung eines subjektiven Rechtes des Geschädigten voraussetze, als bemerkenswerten Trugschluß bezeichnet und seine Ansicht noch weiter belegt (ähnlich schon SZ 28/201). In diesem Sinn verpflichtet daher auch eine schuldhafte Unterlassung die Behörde zur Haftung, wenn das Organ nach dem Schutzzweck der übertretenen Vorschrift auch gegenüber dem Geschädigten zum Handeln verpflichtet gewesen wäre, so daß der nach allgemeinem bürgerlichen Recht geforderte Rechtswidrigkeitszusammenhang vorliegt (SZ 37/72 u. a.).

Das neue österreichische Kreditwesengesetz, Bundesgesetzblatt 63 aus 1979,, läßt keinen Zweifel offen, daß es eines seiner wesentlichen Ziele im Schutz der Gläubiger der Kreditinstitute sieht (Paragraphen 12, ff., 31; vergleiche 844 BlgNR römisch XIV. GP, S. 36 Punkt 3, S. 45 zu Paragraph 15,, S. 51 zu Paragraph 25,, S. 53 zu Paragraph 31,). Aber auch schon das hier anzuwendende alte KWG 1939, DRGBl. römisch eins 1955, enthielt ähnliche Schutzbestimmungen zugunsten der Gläubiger gerade im Zusammenhang mit der Aufsicht über die Kreditinstitute (Paragraph 6, Absatz eins, Litera c,, Paragraph 9, Absatz eins,, Paragraphen 11, ff.; diese waren allerdings laut Schäffer, Wirtschaftsaufsicht, ÖZW 1978, 33, 37 nach 1945 in Österreich z. T. nicht anwendbar, Paragraph 24, Absatz 2,, Paragraphen 30, ff.; vergleiche auch Neudörfer, Zur Problematik der Reform des Kreditwesengesetzes und Sparkassengesetzes, FS Kastner 1972, 333, 335; derselbe, Das Kreditwesengesetz und die Erfahrungen der letzten Jahre, FS Reimer 1976, 145, 146, 155). Es ist deshalb der Ansicht des Revisionswerbers beizupflichten, daß der Schutzzweck des Kreditwesengesetzes in dem oben dargestellten Sinn auch den einzelnen Sparer umfaßt, so daß der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der behaupteten Verletzung der Aufsichtspflichtern nach dem KWG und dem eingetretenen Schaden gegeben wäre. Die vom Berufungsgericht angenommene Unschlüssigkeit des Klagebegehrens liegt demnach nicht vor.

Die Sache ist aber entgegen der Ansicht der Revisionsgegnerin auch sonst noch nicht spruchreif.

Die vom Erstgericht angenommene Verjährung des Klagsanspruches kann noch nicht abschließend beurteilt werden. Dem Erstgericht ist zwar darin beizupflichten, daß spätestens mit der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der A-Bank der Schaden des Klägers durch offensichtliche weitgehende Uneinbringlichkeit seiner Forderung eingetreten und ihm auch im Sinne des Paragraph 6, Absatz eins, AHG bekannt geworden ist vergleiche VersR 1969, 745), zumal die Kenntnis genügt, daß und in welcher Richtung ein Schaden überhaupt entstanden ist, so daß mindestens eine Feststellungsklage offenstand (Loebenstein - Kaniak, 96; ZVR 1973/158; EvBl. 1974/110). Dem Ablauf der Verjährungsfrist stunde dann auch die Stellung des Antrags auf Gewährung der Verfahrenshilfe nicht entgegen, weil es hiefür an einer dem Paragraph 464, Absatz 3, ZPO entsprechenden Vorschrift des materiellen Rechtes fehlt. Die vom Kläger gewünschte ausdehnende oder analoge Anwendung der prozessualen Zustimmung kommt nicht in Betracht, weil das Fehlen einer solchen Vorschrift offenbar vom Gesetzgeber gewollt war. Paragraph 6, Absatz eins, AHG beschränkt allerdings den Beginn der Verjährungsfrist scheinbar allein auf das Bekanntwerden des Schadens, ohne daß es auf die nach Paragraph 1489, ABGB erforderliche Kenntnis auch der Person des Schädigers ankäme. Diese Gesetzesbestimmung bedarf jedoch einer berichtigenden Auslegung, von der übrigens die Beklagte selbst ausging (17 f.). Der Gesetzgeber hat nämlich die Vorschrift des Paragraph 6, Absatz eins, AHG erkennbar bloß mit jener des Paragraph 2, Absatz eins, AHG in Einklang zu bringen versucht, wonach bei der Geltendmachung des Ersatzanspruches ein bestimmtes Organ nicht genannt werden muß ....; daher ist die Kenntnis der Person des Beschädigers für den Beginn der Frist nicht erforderlich (Loebenstein - Kaniak, 96), und es genügt der Beweis, daß der Schaden nur durch die Rechtsverletzung eines Organs des beklagten Rechtsträgers entstanden sein konnte (515 BlgNR, römisch fünf. GP; JABl. 1949, 13 f.). Da aber sonst der Schadenersatzanspruch grundsätzlich nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes geregelt werden sollte (a. a. O., 13; JBl. 1973, 155 u. a.), kann nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber jene Ausnahmsfälle, in denen die Schadensverursachung durch ein Organ des Rechtsträgers nicht auf der Hand liegt, hinsichtlich des Beginns der Verjährungsfrist zu Lasten des Geschädigten dahin regeln wollte, daß diesem nicht einmal bekannt sein müsse, daß der Schaden durch ein Organ eines Rechtsträgers zugefügt wurde. In diesem Sinne konnte hier die Verjährung, abgesehen vom Schadenseintritt durch die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der A-Bank, erst in dem Zeitpunkt zu laufen beginnen, in dem der Kläger auf Grund der ihm bekannten Umstände zumutbarerweise ohne nennenswerte Mühe auf das Verschulden irgendeines Organs des beklagten Rechtsträgers (etwa im Sinne der Klagsbehauptungen) schließen konnte vergleiche SZ 44/115 u. a.). Hiefür gaben entgegen der Meinung der Beklagten Ausgleich und Konkurs der A-Bank noch keinen hinreichenden Anhaltspunkt. Da diese Rechtslage bisher nicht erkannt wurde, dürfen die Parteien damit nicht überrascht werden. Sie sind zur Erörterung der Rechtsfrage anzuleiten. Für den Beginn des Laufs der Verjährungsfrist ist die Beklagte beweispflichtig; daher wird ihr auch der Nachweis der Kenntnis des Klägers von den im obigen Sinn maßgeblichen Umständen obliegen.

Die Revisionsgegnerin will eine Haftungsfreiheit auch aus Paragraph 42, KWG 1939 ableiten. Nach dieser Bestimmung wird wegen eines Schadens, der durch im Rahmen dieses Gesetzes vom (Reichswirtschaftsminister oder Reichsaufsichtsamt; nunmehr) Bundesminister für Finanzen (s. EvBl. 1972/43) getroffene Maßnahmen entsteht,"eine Entschädigung nicht gewährt". Einer Anwendung dieser Bestimmung steht jedoch nicht nur entgegen, daß der Amtshaftungsanspruch im vorliegenden Fall aus einer schuldhaften gänzlichen Untätigkeit der Aufsichtsbehörde abgeleitet wird; sie ist auch als durch das Amtshaftungsgesetz derogiert anzusehen. Der OGH schließt sich nämlich in der Frage der Konkurrenz eines jüngeren allgemeinen mit einem älteren speziellen Gesetz der Meinung von Wolff in Klang[2] I/1, 113, an, wonach im Zweifel das spätere Gesetz alle, auch die spezielleren Gesetze eines bestimmten Rechtsgebietes, dann aufhebt, wenn es selbst eine sogenannte Kodifikation ist, also eine beabsichtigt vollständige und abschließende Regelung eines ganzen Rechtsgebietes; in diesem Fall schließt nur eine allgemeine Klausel, wie zum Beispiel"unberührt bleiben ....." diese Wirkung aus. Das Amtshaftungsgesetz ist als eine solche abschließende Regelung des Rechtsgebietes der Haftung von Rechtsträgern für ihre Organe anzusehen, zumal gleichzeitig das Bundes-Verfassungsgesetz in der gleichen Richtung der allgemeinen Haftung dieser Rechtsträger für alle Schäden, den die als ihre Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben, novelliert wurde. In diesem Sinne ist auch bezeichnend, daß das neue KWG 1979 ohne nähere Begründung keine dem alten Paragraph 42, entsprechende Bestimmung mehr enthält.

Dem Klagsanspruch steht schließlich auch nicht die sogenannte Subsidiarität der Amtshaftung entgegen, aus der die Revisionsgegnerin ableiten will, daß der Kläger verpflichtet gewesen wäre, seinen Schaden zunächst bei allen in Betracht kommenden Dritten, im besonderen durch Vorausklagen gegen den Vorstand und Aufsichtsrat der Allgemeinen Wirtschaftsbank geltend zu machen. Der OGH ist nämlich in der grundsätzlichen Entscheidung 1 Ob 26/79. (S. Entscheidung Nr. 119 in diesem Band.), von der in der Lehre bekämpften Rechtsansicht abgegangen, daß unter"Rechtsmittel" im Sinne des Paragraph 2, Absatz 2, AHG auch die Beschreitung des Rechtsweges gegen Dritte zu verstehen sei. Er erachtete es nach eingehender Untersuchung für geboten, hierunter nur prozessuale Rechtsbehelfe, wenn auch im weiteren Sinne, zu verstehen, die dazu dienen, fehlerhafte Entscheidungen, sei es im Instanzenweg, sei es auf andere Weise, zu beseitigen, nicht aber auch materielle Rechtsansprüche wie insbesondere die Vorausklage gegen den Mitschädiger. An dieser Rechtsansicht wird nunmehr festgehalten.

Bei dieser Rechtslage erweist sich das erstgerichtliche Verfahren einerseits in Richtung der behaupteten Verjährung und andererseits zur Sache selbst als ergänzungsbedürftig. In letzterer Beziehung werden die von den Parteien angebotenen Beweise darüber aufzunehmen sein, ob die Organe der Beklagten die ihnen im KWG 1939 auferlegten Aufsichtspflichten verletzt oder aber unter Berücksichtigung der abgesehen vom Gläubigerschutz erteilten Aufträge (z. B. auch gesamtwirtschaftliche Interessen zu wahren; Paragraph 30, Absatz eins, Satz 1) mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln vergleiche hiezu Neudörfer; FS Reimer, 151, 155 f.) und in dem nach der Sachlage zumutbaren Maß erfüllt haben.