Entscheidungstext 8Ob69/21m

Gericht

OGH

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Rechtsgebiet

Zivilrecht

Fundstelle

RdM‑LS 2022/111 = JBl 2022,665 (Dullinger) = PHi 2022,152 = iFamZ 2022/137 S 178 - iFamZ 2022,178 = Schickmair, iFamZ 2022,233 = RdM 2022/333 S 316 (Leischner-Lenzhofer, Rechtsprechungsübersicht) - RdM 2022,316 (Leischner-Lenzhofer, Rechtsprechungsübersicht) = PHi 2023,8 (Rief) = JMG 2023,29 (Hauser) = VbR 2023/11 S 13 - VbR 2023,13 = ZVR 2023/54 S 147 (Danzl, Rechtsprechungsübersicht) - ZVR 2023/147 (Danzl, Rechtsprechungsübersicht)

Geschäftszahl

8Ob69/21m

Entscheidungsdatum

25.05.2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, sowie die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. N* L*, 2. D* L*, ebendort, beide vertreten durch Dr. Edgar Pinzger, Rechtsanwalt in Landeck, gegen die beklagte Partei E* S.L., *, vertreten durch MMMag. Dr. Franz Josef Giesinger, Rechtsanwalt GmbH in Götzis, wegen 1.) 5.105,44 EUR und Feststellung (Interesse 32.000 EUR), 2.) Feststellung (Interesse 5.200 EUR), über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 11. März 2021, GZ 1 R 181/20g-28, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 19. Oktober 2020, GZ 14 Cg 69/19w-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit insgesamt 2.029,12 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen, davon die Erstklägerin 1.785,63 EUR und der Zweitkläger 243,49 EUR.

Text

Begründung:

[1]       Die Beklagte ist Hersteller von Medizinprodukten und Produzent eines kupferhaltigen Intrauterinpessars „Gold T mini“ (im Folgenden: Spirale), das zur Empfängnisverhütung Verwendung findet.

[2]       Nachdem die Kläger, ein Ehepaar, nach der Geburt ihres zweiten Kindes ihre Familienplanung abgeschlossen hatten, ließ sich die Erstklägerin am 4. 2. 2016 von ihrem Gynäkologen eine von der Beklagten hergestellte Spirale einsetzen. Im März 2019 wurde die Erstklägerin dennoch schwanger, am 4. 1. 2020 brachte sie ein gesundes Kind zur Welt.

[3]       Die Kläger brachten vor, die ungeplante Schwangerschaft sei aufgrund eines Bruchs der Spirale eingetreten, der auf einem von der Beklagten nach dem PHG zu vertretenden Chargen- und Produktfehler beruhe. Die Beklagte habe die Spirale als zuverlässiges Verhütungsmittel angepriesen, ohne in Patientenbroschüren oder Beipackzetteln auf ein Bruchrisiko hinzuweisen. Nach Kenntnis mehrerer Fälle von Spiralbrüchen habe sie falsch und verspätet reagiert und lange Zeit Frauenärzte und Apotheken gar nicht oder unrichtig informiert.

[4]            Die Erstklägerin begehrt Schmerzengeld für die im Zusammenhang mit der Schwangerschaft und Geburt erlittenen Schmerzen sowie Auslagenersatz. Weiters beantragt sie die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche zukünftigen Folgeschäden der ungewollten Schwangerschaft und Geburt, mit Ausnahme des Unterhaltsschadens gegenüber einem gesunden Kind.

[5]            Der Zweitkläger begehrt die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle ihm künftig aus seiner Unterhaltspflicht gegenüber der Erstklägerin entstehenden Nachteile, ebenfalls mit Ausnahme des Unterhaltsschadens gegenüber dem gesunden Kind.

[6]            Beide Kläger führen zur Begründung ihrer Feststellungsbegehren aus, sie würden infolge der unerwünschten Schwangerschaft und Elternschaft in ihrer beruflichen Entwicklung beeinträchtigt und dadurch Verdienstentgang und spätere Pensionsschäden erleiden. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass das derzeit gesunde Kind in Zukunft erkranken oder Unfälle erleiden könnte.

[7]            Die Beklagte bestritt die Kausalität des behaupteten Produktfehlers. Die Spirale der Erstklägerin sei erst nach Eintritt der Schwangerschaft während der Entfernung abgebrochen. Der Bruch sei nicht kausal für die Unwirksamkeit gewesen, sondern habe sich bei der Erstklägerin ein dieser Art von Verhütungsmittel regelmäßig anhaftendes Restrisiko (Dislokation) verwirklicht. Die Geburt eines gesunden Kindes stelle auch keinen Schaden dar. Sollte dies anders gesehen werden, hätten die Kläger ihre Schadensminderungspflicht verletzt, weil sie sich gegen die Austragung des Kindes entscheiden hätten können.

[8]       Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab.

[9]       In der Geburt eines gesunden, wenngleich unerwünschten Kindes sei kein ersatzfähiger Schaden zu erblicken. Eine über das gewöhnliche Maß hinausgehende Belastung sei von den Klägern nicht behauptet worden.

[10]           Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Kläger keine Folge und bestätigte das Urteil des Erstgerichts.

[11]           Die Feststellungsbegehren seien unzulässig, soweit die Kläger bereits in der Lage gewesen wären, für die zugrundeliegenden Ansprüche Leistungsbegehren zu erheben. Dies betreffe sämtliche Schäden und Aufwendungen, die den Klägern bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz erwachsen seien.

[12]           Die im Laufe einer normal verlaufenden Schwangerschaft und Geburt auftretenden Schmerzen seien kein Schaden, der aus einer Verletzung am Körper oder einer Gesundheitsbeeinträchtigung resultiere, vielmehr handle es sich dabei um natürliche Lebensvorgänge. Reine Vermögensschäden, wie Verdienstentgang und Pensionsnachteile, seien im Rahmen der Produkthaftung überhaupt nicht zu ersetzen. Sie seien Folgen der Existenz eines gesunden Kindes und kein aus einer Verletzung oder Gesundheitsschädigung resultierender Schaden im Rechtssinn. Der Zweitkläger mache außerdem nur einen mittelbaren Drittschaden geltend.

[13]           Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zum Begriff des Schadens im Sinn des Paragraph eins, Absatz eins, PHG bei einer ungewollten Schwangerschaft als Folge der Fehlerhaftigkeit eines Medizinprodukts bestehe. Dieser Rechtsfrage komme über den Einzelfall hinaus erhebliche Bedeutung zu.

[14]           Die von der Beklagten beantwortete Revision der klagenden Parteien ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[15]           Selbst wenn das Berufungsgericht mit Recht ausgesprochen hat, dass die ordentliche Revision zulässig sei, das Rechtsmittel dann aber nur solche Gründe geltend macht, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt, ist die Revision trotz der Zulassung zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0102059).

[16]           1. Die Revisionswerber bringen vor, nach der Rechtsprechung stelle bei fehlerhaften Medizinprodukten allein schon das Bewusstsein, ein solches Produkt im Körper zu tragen, einen Eingriff in die körperliche Integrität dar. Der Oberste Gerichtshof habe bereits ausgesprochen, dass unter „Verletzung am Körper“ jede Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheit und Unversehrtheit zu verstehen sei. So sei etwa die Existenz eines bei einer Operation im Körper zurückgebliebenen Fremdkörpers als Gesundheitsschädigung anzusehen, daraus resultierende seelische Schmerzen ersatzfähig. Die Rechtsansicht, dass die Haftung nach dem PHG keine reinen Vermögensschäden umfasse, sei „nicht in jedem Fall zutreffend“. Bei medizinischen Geräten seien nach der Rechtsprechung des EuGH die Anforderungen an die Sicherheit besonders hoch.

[17]           2. Unstrittig ist in der vorliegenden Rechtssache unter Bedachtnahme auf Artikel 5, Absatz eins, Litera a und c Rom II-VO österreichisches Sachrecht anzuwenden.

[18]           3. Den Ausführungen des Berufungsgerichts zum fehlenden Feststellungsinteresse der Kläger hinsichtlich jener Ansprüche, die bei Schluss der Verhandlung erster Instanz bereits mit Leistungsbegehren geltend gemacht werden konnten (RIS-Justiz RS0038849; RS0038817; RS0039021 [T19]), setzt die Revision nichts entgegen. Auf die mit der ständigen Rechtsprechung übereinstimmende Begründung der Entscheidung kann daher verwiesen werden (Paragraph 510, Absatz 3, ZPO).

[19]           4. Nach der ständigen und einhelligen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs stellt die Geburt eines gesunden, wenn auch unerwünschten Kindes mit allen damit gewöhnlich verbundenen Belastungen keinen ersatzfähigen Schaden im Rechtssinn dar (RS0121189; 1 Ob 91/99k = RdM 1999, 177 [Kopetzki]; 6 Ob 101/06f = EvBl 2006/171 [Steininger] = EF-Ziffer 2006 /, 79,, 131 [Leitner] = FamZ 2006/70, 198 [Neumayr] = Zak 2006/610, 358 [Kletečka] RdM 2007, 20 [Chr. Huber]; 2 Ob 172/06t = EFSlg 114.099 = ecolex 2007/69 S 169 [Wilhelm]; 6 Ob 148/08w; 9 Ob 37/14b). An dieser Rechtsprechung hat der Oberste Gerichtshof ungeachtet der in der Literatur geäußerten Kritik festgehalten (6 Ob 148/08w). Das Schadenersatzrecht hat nicht den Zweck, Nachteile zu überwälzen, die bloß eine Seite der Existenz und damit des personalen Eigenwerts des Kindes darstellten und die familienrechtlich geordnet sind. Insoweit haben in der Abwägung die Grundsätze der Personenwürde und der Familienfürsorge Vorrang vor den Schadenersatzfunktionen und Haftungsgründen.

[20]           Diese Rechtsprechungslinie, mit der die Entscheidung des Berufungsgerichts im Einklang steht, wird in der Revision nicht konkret bekämpft.

[21]           Die Revisionsausführungen beziehen sich auf nicht vergleichbare Sachverhalte. Die Erstklägerin hat nicht vorgebracht, dass sie durch die abgebrochene Spirale verletzt worden sei. Weder hat sie behauptet, dass sie bereits vor der Entfernung der Spirale von deren Bruch Kenntnis hatte und deswegen in Sorge war, noch werden daraus abgeleitete seelische Schmerzen geltend gemacht. Damit zeigt die Revision aber keine für das Verfahren relevante Rechtsfrage auf. Die von der Revision herangezogenen Aspekte zu der Rechtsprechung des EuGH betreffen die Anforderungen an die Sicherheit, aber nicht den Schadensbegriff.

[22]           5. Das Feststellungsbegehren des Zweitklägers betrifft den Ersatz zukünftiger Vermögensnachteile aufgrund seiner familienrechtlichen Unterhaltspflicht gegenüber seiner Gattin.

[23]           Nach der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung scheidet im Rahmen der verschuldensunabhängigen Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz der Ersatz eines „reinen“ Vermögensschadens aus, zumal dieser selbst bei Verschuldenshaftung prinzipiell außer Ansatz bliebe (RS0111170; RS0111982). Einbezogen sind nur die absolut geschützten Rechtsgüter, soweit sie durch das fehlerhafte Produkt beschädigt wurden. Ein Aufwand, der nur als mittelbare Folge des an einem anderen Rechtsgut entstandenen Schadens getätigt werden muss, ist nicht ersatzfähig (RS0111982).

[24]           Ausgenommen davon wäre nur der Fall einer bloßen Schadensverlagerung vergleiche RS0119709), bei der ein zunächst dem unmittelbar Geschädigten entstandener Schaden auf einen Dritten überwälzt wird.

[25]           Diese Konstellation trifft auf die dem Feststellungsbegehren zugrunde gelegte künftige Unterhaltsmehrbelastung aber nicht zu. Es handelt sich dabei nicht um überwälzte Schäden der unmittelbar betroffenen Erstklägerin, sondern um im Familienrecht begründete originäre Verpflichtungen des Zweitklägers. Ihre eigenen künftig möglichen Einkommensnachteile macht die Erstklägerin selbst mit ihrem Feststellungsbegehren geltend.

[26]           Die Revision setzt der mit der ständigen Rechtsprechung konformen Beurteilung des Berufungsgerichts ohne weitere Begründung nur entgegen, dass sie „nicht in jedem Fall zutreffend“ sei. Damit wird die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt (RS0043605).

[27]           6. Eine Grundlage für die Haftung der Beklagten für zukünftige schicksalhafte Entwicklungen im Leben des gesund geborenen Kindes vergleiche RS0112111) wurde von den Vorinstanzen als einer Rechtsgrundlage entbehrend zutreffend verneint. Diese Beurteilung wird in der Revision auch nicht konkret bekämpft. Damit erübrigt sich aber eine Beantwortung der im Rechtsmittel aufgeworfenen Frage, ob eine stellvertretende Klagslegitimation der Eltern für solche Ansprüche des Kindes in Frage käme.

[28]           7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf Paragraphen 41 und 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0035979).

[29]           Eine Korrektur der verzeichneten Kosten war erforderlich, weil Leistungen eines österreichischen Rechtsanwalts für einen ausländischen Unternehmer nicht der österreichischen Umsatzsteuer unterliegen. Verzeichnet der österreichische Anwalt im Prozess 20 % Umsatzsteuer, so wird im Zweifel nur die österreichische Umsatzsteuer angesprochen (Paragraph 54, Absatz eins, ZPO). Ist die Höhe des ausländischen Umsatzsteuersatzes nicht allgemein bekannt (hier: Spanien), kann Umsatzsteuer nur zugesprochen werden, wenn Entsprechendes behauptet und bescheinigt wird (RS0114955).

[30]     Die Kläger schulden den Kostenersatz im Verhältnis ihrer Streitwerte (88 % und 12 %).

Textnummer

E135340

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0080OB00069.21M.0525.000

Im RIS seit

13.07.2022

Zuletzt aktualisiert am

13.06.2023

Dokumentnummer

JJT_20220525_OGH0002_0080OB00069_21M0000_000

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